Philipp (*1976): Lehrer aus Hamburg im Sabbatjahr
Timo (*1976): Strategische Beratungen und Interimsgeschäftsführungen. Gründer Saaldeck Café & Bar in Berlin (verkooft).
Pinto: Gefleckter Criollo-Wallach (12) schreckhaft, ängstlich aber willig
Romano: Karmellfarbender Criollo-Wallach (12) Auch etwas schreckhaft, super Physis, bockig.
Rocky-Adolfo: In Junin de Los Andes ersteigert. Reinrassiger Criollo (4) gutmütig, neugierig, unvoreingenommen mit trainingsbedarf und geringer Ausdauer.
Wir starteten am 4. November 2012 mit dem Reiseziel Brasilien um dort ausgiebig zu Kitesurfen.
Nach zwei wellenreichen und windigen Monaten im Atlantischen Ozean kamen wir auf die Idee das Reiten auf der Estancia Aventura in Paraquay kennenzulernen. Nach ca. einer Woche, es war ein lauschiger Poolabend, begeisterte uns die Idee, diese Reise zu Pferd weiterzuführen so nachhaltig, daß wir nun mit drei Pferden durch die argentinische Bergwelt reiten.
Zusammen mit Philipp geht’s nun von Mendoza 750 km weiter Richtung Süden nach Chos Malal. Dann mit dem 4×4 weitere 190 km nach Norden Richtung Zapata (Nordpatagonien). Irgendwann werden wir dann auf´s Pferd umsteigen, weil´s via Fahrzeug nicht weitergeht. Ziel sind die Winterweiden einer Estancia (wir haben hier zur Zeit Sommer). Die Estancia selbst dient wohl vornehmlich touristischen Aktivitäten.Ungefähr 5 Reitstunden von dieser Estancia entfernt werden wir unsere Basis auf der Estancia der Winterweide aufschlagen, aber die Woche über einige Reitstunden entfernt in Feldlagern verbringen.
Nachdem wir unsere Pferde mit einem Tagesritt überführt hatten, ging es ans gegenseitige kennenlernen. Der eine weiß-braun gefleckt, der andere karamell mit „römischer Nase“. PINTO + ROMANO. Da ich wie Philipp nahezu keine Reiterfahrung habe, als Teenager auf Spiekeroog ein paar Ostspitzenritte und Ausritte zum alten Hafen und die kürzlich verbrachten 2 Wochen auf der Estancia Aventura, kann ich an dieser Stelle nix fachmännisches über die beiden Wallache zum Besten geben. Laienhaft würde ich sagen: Beide ziemlich schreckhaft und aus der argentinischen Bergwelt bisher nie herausgekommen. Pinto aufmerksam und nervöser. Romano dominanter und sturer. Eigentlich sollten wir auch noch ein Maultier erhalten, daß die Packtaschen tragen sollte. Doch es war bereits verkauft. Neben touch and play + kleinen Ausritten bestand der zweite bedeutsame Part dieser Woche aus dem Erwerb des nötigen Materials, wie Sätteln, Zaumzeug, Halftern, Packtaschen , Packsattel, Kochgeschirr etc. Und hier fügte sich das Leben wieder einmal wie das südhessische Dippschen zu dem passenden Deckelschen. Unser Patron vermittelte uns einen US-guy, der genau das Geraffelt verkaufen wollte, daß wir benötigten. Er kam vorbei, wir haben´s uns angeschaut und für 2000 US-Dollar gekauft. Neben den genannten Sachen war noch jede Menge Kleinkram dabei, wie Walkie-Talkies, Fernglas, Werkzeug zum Pferde besohlen, Medikamente für Mensch und Tier und vieles mehr. Als zusätzliche Dreingabe brachte uns der US-guy noch den Double-Diamond bei. Eine Seilkonstruktion mit der schon die US-Kavellerie das Gepäck auf Packpferden bombenfest verzurrte. – bei ungewollten Packpferdrodeo sehr hilfreich 😉
Dazwischen vertieften wir einen neungelegten Brunnen und experimentierten mit Wasserleitungen um die Wasserversorgung der Estancia auch in Zukunft zu gewährleisten. Der Ruf des german engeneers eilte uns voraus 😉
Inzwischen war der Patron abgereist und wir sollten in der zweiten Woche mit den Gauchos in die Berge ziehen um neue Zäune zu setzen. Entweder sie erschienen nicht zur vereinbarten Uhrzeit oder sie verschoben das Ausrückdatum von Tag zu Tag. Letztendlich hatten wir das Gefühl, daß sie keinen Bock auf uns hatten. Ihre schlichte minderwertigkeitskomplexorientierte, rassistisch und sexistische Kommunikation der vergangenen Tage ließ dies vermuten und sich auf folgende Begriffskomplexe reduzieren: Ihr Gringos. Wir Gauchos. Chiccas. Ficken. Wobei Chiccas und ficken als getrennt zu betrachtende Komplexe sind, weil ficken nicht nur im Kontext mit Chiccas vorkam. Sicherlich auch aufgrund der etwas schrägen Stimmungslage auf der Estancia Colipilli hatte sich Philippp dazu entschlossen Mitte der Woche für ein paar Tage auf eine Landwirtschaftsmesse mit Vieh-+ Pferdeauktion zu fahren. Für mich kam das nicht in Frage. Endlich in der Pampa und Einsamkeit, warum sollte ich in den Trubel fliehen. Doch im Fortlauf spitzte sich die Lage auf der Estancia merklich zu. Spätestens seit dem sich die sexuellen Anspielungen nicht mehr nur auf virtuelle Chiccas bezogen sondern ich peu a peu das Thema dieser Anspielungen wurde empfand ich die Stimmung zunehmend als bedrohlich. Geschehnisse wie die Nachfrage, wo ich heute schlafen werde, das Entfernen eines Gewehres samt Munition aus meinem Zimmer, überhaupt das ungefragte eindringen in meine Privatsphäre und das ganze immer garniert mit so einem komischen Zuzwinkern von einem der Gauchobrüder. Die Nummer wurde mir zu heiß. Ich sattelte mein Pferd, packte die kleinen Satteltaschen und verließ die Estancia unbemerkt durch ein nicht einsehbares Gatter. Mein Ziel und Fluchtpunkt war Huciencai. Ein weites Tal, daß sich kilometerweit in die Berge erstreckt. Wohlgemerkt, alles Estancia-Areal. Oben im Tal sollte es eine Hütte geben. Die Schlüssel hatte ich eingesteckt. Es war ein sehr windiger Tag. Wäre ich noch am Meer gewesen, hätte ich wohl den 7er Kitte aufgebaut. Den Kauboihut festgezurrt querte ich Anfangs noch staubige von Dornengebüsch und Büschelgras gebrochene Ebenen um nach einigen Kilometern in ein sich verengendes immer grüner werdendes Tal vorzustoßen. Kleine Pappelhaine auf fetten Wiesen. Kahle Bergpanoramen in Hintergründen und flüchtendes lamaähnliches Wild die Hänge hinauf. Schimpfende Vögel im Paradies. Die saftige Weite entspannte mein Herz in Koexistenz mit wachsender Anspannung von Pinto, ob der unbekannten Landschaft und heulenden Geräuschkulisse. Das erste mal ganz alleine wir Beiden. Seine Ohren hoch aufgestellt, schnellen Schrittes, immer schneller werdend, hasteten wir durch tosende großartige Landschaft. Erst mit Trab, dann mit leichtem Galopp versuchte ich seine Anspannung zu lösen. Vorbei an einem der zahllosen Buschwerke, dahinter ein schwarzer sehr fortgeschrittener Kuhkadaver. Abrupte scheuende Ausweichbewegung nach rechts. Dieses Risiko bergen unbekannte Galoppstrecken. Aber so wird man schnell sattelfest 😉
Am nächsten Tag kehrte ich am späten Vormittag auf die Estancia zurück. Sie hatte sich verändert. Schien dunkler, das Auto der Gauchobrüder schien psycho-schrottiger, das Summen der Fliegen bei Eintritt in unser Zimmer klang lauter und die Blicke der Gauchos waren noch verstohlener. Zu meinem Leidwesen hatte ich die Position der Griffe einer unserer Kommodenschubladen vor meiner Nacht im Tal Huciencai präpariert. Jemand hatte unserer Sachen durchwühlt – soviel stand fest. Als ich dann nach dem Mittagessen im Privatzimmer des Patrons vor dem Fernseher auf dem Bett saß um wunschgemäß den HD-Recorder dazu zu bringen, die abendlichen NFL Play-Offs aufzunehmen, standen sie plötzlich wieder da. Der eine körperkontaktnah und faselten irgendwas von Pornokanälen und „manual“. Nein! Es gibt keine Pornokanäle! Nix manual! Nach ein paar Minuten zogen sie endlich von dannen. Für mich war klar: GAME OVER! Es war Samstag, wir würde das werden, wenn die sich volllaufen lassen? Welche Chance hatte ich gegen zwei. Und wenn schon, es gab noch 10 andere Brüder von denen. Hier könntest Du Dir die Seele aus dem Leib brüllen, es würde keiner hören. Geschunden und gefesselt auf dem Bett des Patrons. Stellvertretend vergewaltigt für die ganze weiße Großgrundbesitzer und kleine Gauchos/Bauern Problematik. Mein Kopfkino rannte. Hey Alter, der Film ist optional. GAME OVER! GAME OVER! GAME OVER! Zieh dich raus, das ist nicht Dein Abendteuer! Um 18 Uhr verließ ich mit dem bepackten Pinto die Estancia Richtung El Huecu. Nach gut einer Stunde hatte ich Handyempfang und schickte eine sms an Philipp. Ich ließ ihn fast drei Stunden durchtraben.In der Abenddämmerung erreichte ich El Huecu. Der Wind blies fast so stark wie gestern. Und wenn man sich menschlichen Anballungen nähert, steigt die Müllwahrscheinlichkeit um ein Vielfaches. Ein Problem, wenn das Pferd panische Angst vor sich bewegenden Plastiktüten hat. Spannungsreiche Querung des Ortes. Recht viel los. Wochenende. Hier ist Unsereins kein Tourist, das kennen die hier nicht. Hier ist man ein Fremder der höchstens angeschaut und zumeist ignoriert wird. Die Dunkelheit bricht an. Ich erreiche erleichtert Ginnis Shakra. Ginni ist eine x-Frau unseres Patrons. Ehemaliges Model, Künstlerin, James-Bond-Stuntgirl, us-highsociety-Frau. Das ganze humane Potential dieser Estancia Ranquilco gründet auf schönen Hippigestalten aus sehr wohlhabenden us-Familiendynastien. Ginni selbst war wie Philipp auf dieser Landwirtschaftsmesse in Junin de los Andes. Aber Virginia und Bob aus Colorado waren da. Virginia ist die Coautorin einer Biografie von Ginni, die die Beiden gerade ausarbeiten. Bob ihr Mann ist ein pensionierter Farmer und sehr erfahrener horsebacktourguide. Beide um die 50. Es war Klasse, daß sie da waren, mir zuhörten und mir Unterschlupf boten. Die Spannung fiel ab und ich ins Bett. Am nächsten Abend kam Philipp zurück. Er war überglücklich, fast euphorisch. Er hatte ein schönes 3-jähriges Pferd ersteigert. Es gab viel zu erzählen. Wir sprachen mit dem Patron und entschieden uns den Standort zu wechseln.
Wir haben hier viele schöne Ausritte gehabt, das eine oder andere mal die Nacht in der Wildnis verbracht und so einige Schrecksekunden durchlebt. Nun geht es los. Morgen, Mittwoch den 13.02.2013, werden wir den Trip beginnen. Philipp, Romano, Pinto, Rocky-Adolfo und Timo ziehen nun los. Erstmal Richtung Norden um dann in einem großen Bogen nach Süden. Ich werde weiter berichten.Horrido!
Die Orte, die wir bisher angesteuert haben, hatten die Größe von ein paar Häusern bis 5000 Einwohnern. Tendenziell gibt es hier ein bisschen touristische Infrastruktur, wie die angesprochenen Hosterias und Touristenbüros, die personell kommunistisch großzügig mit Personal besetzt sind. Die Region ist etwas wohlhabender und die Menschen offener als in der Gegend um El Huecu. Es gibt Bergbau (Goldminen etc.) und Dienstleister, die Leute haben mehr Geld, es gibt kleine Geschäfte mit Wohlstandsprodukten und Pferde als Fortbewegungsmittel, bzw. das Gauchodasein ist weniger präsent. Ich empfinde das ajs angenehm, da es den Nebeneffekt hat, daß die Leute einen interessierter und freundlicher begegnen, da sie es amüsant finden das zwei alemán Brokebackmountainguys zu Pferd durch ihr Land reiten und sich eines Fortbewegungsmittels bedienen, daß immer noch identitätsstiftend ist, Pferde gehören zu Argentinien wie Fussball und Rinder, aber als Fortbewegungsmittel von Motorrädern und Autos verdrängt und so in den Bereich der Folklore und Freizeitgestaltung verschoben wurde. Unseren folkloristischen bzw. sensationellen Impetus merken wir auch daran, daß man in den Dörfern bzw. kleinen Städten, die immerhin gut 20 bis 30 km auseinanderliegen, schon vor unserer Ankunft wusste, das wir kommen werden.
Trotz der Distanzen ist hier alles so miteinander verbunden, als wäre es ein kleines Dorf.
Wie geht’s weiter: Unser Plan sieht nun vor, daß wir nach unserem Nordschlenker ab morgen den 01.03.2013 Richtung Süden reiten werden. Es sieht ganz danach aus, daß wir auf diesem Weg El Huecu ansteuern werden um unser Packpferd Romano zurückzulassen und gepäcktechnisch auf das Notwendigste reduziert mit zwei Pferden weiterreiten. Wir wollen die Schlagzahl etwas erhöhen, mehr Strecke machen und etwas sportlicher werden. Nicht wie die Appachen, die Ihre Pferde ritten bis sie tot umfielen und aufgegessen haben (Zitat aus dem Film „Geronimo“ aus dem Jahr ?), aber mal antesten was für Mensch und Pferd möglich ist.
Nahziel ist Laguna Aluminé (passt ja 😉 Mittelziel: St. Martín de los Andes (600km) Fernziel ist San Carlos de Bariloche (ca. 900 km) oder El Bolson (1100 km). Schaun wa mal. Die Antworten aus der Realität auf theoretische Vornahmen sind auf diesem Trip sehr schnell, direkt und manchmal schmerzhaft – gut so! 😉
Horrido
TimO
Doch wie kam es dazu, dass wir den Marsch in den Süden trotz Ankündigung nicht unternommen haben? Meinen letzten Bericht hatte ich von Los Ovejas abgesetzt. Von dort waren wir in einem sehr zügigen Ritt über gut 43 km nach Huinanco geritten, wollten eigentlich nach Andacollo, wo wir zufällig 3 Feuerwehrleute wiedergetroffen haben, die uns eine Woche zuvor in einem Nationalpark halfen, als Philipps Pferd ein Hufeisen verloren hatte. Sie vermittelten uns ein kleines Holzhäuschen im Garten eines Einfamilienhauses, wo wir für die nächsten 4 Tage bleiben sollten. Und wie es bei uns so ist, kam Philipp dann spontan auf die Idee eine Fiesta zu feiern. 15 Min. später lag das gefesselte Ziegenböckchen auf der Ladefläche des Pickup. Eine halbe Stunde später hatte ich meine erste Ziege geschlachtet. Das Röcheln des sterbenden Tieres nachdem ich ihm die Klinge durch die Kehle gerammt hatte, die Verwandlung von einem verzückend süßen Zieglein mit seiner Lebendigkeit zu einem Stück Fleisch auf einem Assadospieß, sein gespenstisch aussehender enthäuteter Kopf und seine nur zwei Stunden später fein gebratene Leber werden mir in Erinnerung bleiben. Diesen Akt des Tötens vom Fleischkonsum zu trennen, wie es bei unserer Fleischthekenmentalität ganz normal ist, funktioniert nun bei mir nicht mehr – vorerst. Zwei Abende später gab es dann ein feucht fröhliches Assado mit den Feuerwehrjungs und einigen Mädels aus dem Nachbarort. Meine Erinnerungen daran enden im Rausch der Nacht. Am nächsten Morgen waren dann auch noch die Pferde verschwunden. Vollkommen verkatert und jenseits von Gut und Böse konnten wir sie Zierblumen knuspernd in einem Vorgarten in der Mitte des Ortes antreffen.Am nächsten Tag ritten wir nach Andacollo zu der Hosteria, wo wir auf dem Hinweg bereits genächtigt hatten. Wir wollten Philipps Pferd verkaufen. Uns war immer klarer geworden, dass es aufgrund seines Alters den Strapazen einer derartigen Tour einfach noch nicht gewachsen war. So war die sportliche Fortsetzung des Trips mit ihm undenkbar. Der Plan war jetzt Rocky-Adolfo zu verkaufen und mit Romano, unserem Packpferd, weiterzureiten.